Argumente für die Neutralitätspolitik

Argumente für die Neutralitätspolitik

Aufgrund des Neutralitätsrechts hat der Bundesrat Anfang November entschieden, den Export von Munition durch Deutschland an die Ukraine nicht zu erlauben.

Gleichzeitig haben wir entschieden, dass wir Sanktionen unterstützen und haben uns auch so mit den anderen Demokratien positioniert und solidarisiert.

Ist das neutral?

Ja ganz klar!

Weil im Angesicht eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Partei für das Völkerrecht ergriffen werden muss. Die russische Aggression verstösst gegen alle internationalen Regeln und ist eine direkte Bedrohung für unsere Werte und unsere Sicherheit. Würden wir nichts tun, würden wir den Aggressor begünstigen.

Trotzdem: Wir erlauben die Lieferung von Munition an die Ukraine nicht. Sonst müssten wir gemäss Neutralitätsrecht Kriegsmaterial an beide Kriegsparteien liefern.

Der Entscheid des Bundesrats vom 2.11., den Export von Munition durch Deutschland an die Ukraine nicht zu erlauben, wirkt verstörend. Es stört mich persönlich auch sehr. Und die Neutralität scheint mir fast unanständig. Und trotzdem: wir können und wollen doch nicht Recht brechen! Nur wenn andere das tun, machen wir das nicht auch! Ich bin dafür, dass der Bundesrat und das Parlament alles daran setzen, dass wir erwartbar und glaubwürdig sind gegenüber anderen Demokratien und dass wir die Ukraine bestmöglich in ihrem und unserem – dem westlichen – Verteidigungskampf unterstützen und dass wir Schutz für Fliehende und Unterstützung im Wiederaufbau und zur Friedensförderung bieten.

Parlament und Bundesrat sollen alle Möglichkeiten in unserer Gesetzgebung ausschöpfen wie z.B.

  • Die Nicht-Wiederausfuhrdeklaration abschaffen für definierte Länder mit strengen Regeln – dann dürften diese die Waffen wieder exportieren.
  • Kriegsmaterial enger definieren – Schutzwesten und andere Materialien, welche nicht direkt Waffen oder Munition sind, sollten exportiert werden dürfen.
  • Dem Bundesrat sollte mehr Spielraum gegeben werden im Kriegsmaterialgesetz.

Die Schweiz ist ein neutraler Staat und die Beibehaltung der Neutralität ist unbestritten. Diese Haltung ist klug, selbstbestimmt und nicht unehrenhaft, weil sie auf den Krieg als Mittel der Aussen- und Interessenpolitik verzichtet. Die Neutralität ist nicht als Ziel in der Verfassung verankert, sondern als Mittel zum Zweck zur Sicherung von Freiheit, Sicherheit, Wohlfahrt und für den inneren Zusammenhalt. Es ist wichtig, die Neutralität nicht als Ziel in der Verfassung zu verankern, weil die Handlungsfreiheit dann zu stark eingeschränkt wäre. Die aktuelle geopolitische Lage, der Druck auf die Schweiz durch die Parteien und Partnerstaate zeigt uns die Verantwortung auf, dass wir über die Entwicklung der Neutralitätspolitik nachdenken müssen, damit wir für unsere Partner, andere Demokratien, erwartbar und vertrauenswürdig bleiben. Wir müssen über die Neutralität reden und sie erklären.

Die Neutralitätspolitik lässt zu, dass die neutrale Schweiz EU Sanktionen gegen Russland übernimmt, wie das 1998 schon der Fall war. Wir müssen uns unseren Partnern bewusst sein und ihnen eine gewisse Erwartbarkeit und Vertrauenswürdigkeit bieten. Abgesehen vom Kriegsmaterialexport hat die Schweiz Position für die Demokratien bezogen im Rahmen der Neutralitätspolitik. Es ist klar, dass in einem Fall von Völkerrechtsverletzung die Schweiz Partei ergreift für das Völkerrecht – seit 2002 muss sie UNO Sanktionen übernehmen und sie hat das zum ersten Mal schon 1993 getan. Würde sie das nicht tun, wäre das nicht neutral, weil sie dann den Aggressor begünstigt. Es kann keine Neutralität geben angesichts eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs.

Der Bundesrat hält in seinem Bericht vom 26. Oktober am System der Neutralitätspolitik und dem Neutralitätsrecht fest.

Die Neutralitätspolitik ist nach den Grundsätzen der Verfassung dem Ermessen des neutralen Staates gestaltbar. Sie beinhaltet alle Massnahmen, die die Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit der Neutralität gewährleisten wie Sanktionen, Umgang mit internen Konflikten in Syrien und Iran. Hier haben Parlament und Bundesrat Spielraum. Das ist beim Neutralitätsrecht nicht der Fall – das ist der Kern. Mit dem Neutralitätsrecht im Haager Abkommen 1907 verpflichten wir uns, nicht an international bewaffneten Konflikten teilzunehmen, keine kriegführenden Parteien militärisch zu unterstützen und keinem Militärbündnis beizutreten. Aufgrund der Nicht-Wiederausfuhrdeklaration, die immer unterzeichnet wird bei einem Kriegsmaterialkauf, darf die Schweiz also Deutschland nicht erlauben, die Ukraine mit Waffen zu beliefern, es sei denn sie liefert auch Waffen an die Gegenpartei, also Russland oder seine Verbündeten.

Wir müssen also die Neutralität kritisch überdenken, ohne diese aufzugeben. Welche Ansatzpunkte gibt es für deren Weiterentwicklung:

  1. Klare Position auf die Seite von Demokratien
  2. Die Schweiz soll sicherheitspolitisch internationale Kooperationen eingehen. Sie darf sich selbst verteidigen mit einem Bündnis – dafür müssen aber die Streitkräfte kooperieren können. Kooperiert mit grösseren Staaten ist nötig, um sich zu verteidigen. Gemeinsam wird das Problem der unsicheren Lieferketten von Kriegsmaterial aufgrund der Neutralität gelöst. Grösstmögliche Sicherheit heisst nicht grösstmögliche Unabhängigkeit.
  3. Die Schweiz solidarisiert sich mit den Angegriffenen bei Angriffen auf das demokratische Europa

Bei der Online-Debatte der ASR zur Neutralitätsfrage der Schweiz, durfte ich als Präsidentin der Mitte Frauen Schweiz auch teilhaben: https://youtu.be/wPxb8yufP-M?t=16103  ( 🎙️ ab 4:28:233)

Mehr Argumente findet ihr an der Online Debatte der Swiss Community der Auslandschweizer.

Quellen: Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 22.3385, Klarheit und Orientierung in der Neutralitätspolitik, Zeitungsberichte über die aktuelle Neutralitätsdebatte